COP 16: Eine fragmentierte Gemeinschaft
News
Veröffentlichungsdatum: 19. Dezember 2024
COP 16: Eine fragmentierte Gemeinschaft
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Veröffentlichungsdatum: 19. Dezember 2024
Zum ersten Mal war die Wyss Academy mit einer Delegation an einer Tagung einer Umweltkonvention der Vereinten Nationen vertreten: Ein Blick auf ihre Beiträge und Beobachtungen an der 16. Vertragsstaatenkonferenz (COP) zur UN-Konvention über die biologische Vielfalt (CBD).
Im Oktober dieses Jahres nahmen in Cali, Kolumbien, 23’000 Delegierte teil – darunter acht Vertreter*innen der Wyss Academy for Nature an der Universität Bern als Teil einer Delegation mit Beobachterstatus.
Hat die COP 16 einen ausreichenden Unterschied im weltweiten Einsatz gegen den Biodiversitätsverlust bewirkt? Und welche Wirkung kann eine einzelne Delegation entfalten? Gerade bei einer Veranstaltung dieser Art konnte die junge Wyss Academy ihre DNA einbringen – etwa wenn Zielkonflikte und die komplexen Zusammenhänge zwischen Biodiversität, Klima, Landnutzung und menschlichem Wohlergehen drohen, Fortschritte zu verhindern.
„Genau deshalb wurde die Wyss Academy gegründet: um zu zeigen, wie wir mit solchen Zielkonflikten umgehen und sie überwinden können – hin zu gemeinsamen Vorteilen für Natur und Menschen“, sagte der Direktor der Wyss Academy, Prof. Dr. Peter Messerli, im Gespräch mit uns in Cali. Seine Schlüsselfrage: „Wie können wir Brücken bauen, die mehr sind als blosse Verbindungen: Brücken, über die wir gehen, um dann gemeinsam zu arbeiten und dabei wirklich innovative Wege zu finden?“
Warum Wälder ein gutes Beispiel sind
Die Wyss Academy hatte bereits zuvor zu einem Call to Action aufgerufen, Biodiversität als zentralen Wert in globale politische Strategien und Praktiken zu integrieren. Hervorgehoben wurde dabei auch die Notwendigkeit eines inklusiven, auf Gerechtigkeit basierenden Ansatzes zur Umsetzung der Ziele – basierend auf dem Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework, das an der COP 15 verabschiedet wurde.
Sie nutzten den Raum, den die COP 16 bot, um Interesse an der Arbeit der Wyss Academy im Bereich Naturschutz zu wecken, Initiativen wie das Amazon-Knowledges-Metarepository weiterzuentwickeln und den weniger gehörten Stimmen mehr Gehör zu verleihen. Damit sollten auch die Verbindungen zwischen lokalem Handeln und globaler Politikdebatte gestärkt werden.
Eines der Ziele der Wyss Academy an der COP 16 war es, Ergebnisse aus den Wyss-Academy-Dialogen zum wahren Wert der Wälder zu verbreiten – Dialoge, in denen Biodiversitätsschutz mit Klimaschutz und der Förderung der Lebensqualität der Menschen verbunden wurden. Die Dialogreihe hatte im Mai und Juni auf vier Kontinenten stattgefunden und im Oktober in einem globalen Dialog ihren Abschluss gefunden: Vertreter*innen aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen diskutierten das Potenzial der Wälder und entwickelten konkrete Ideen, wie diese nachhaltig genutzt werden können – zum Vorteil von Natur und Menschen gleichermassen.
In der Green Zone, einem Raum, den die kolumbianische Regierung eingerichtet hatte, um die COP 16 in Verbindung mit der Bevölkerung von Cali zu bringen, teilte die Wyss Academy die Ergebnisse ihrer Dialoge zum wahren Wert der Wälder. Das Publikum war vielfältig und bestand aus zivilgesellschaftlichen Akteur:innen ohne Akkreditierung. So konnte die Botschaft der Dialoge breiter gestreut werden. Die Ergebnisse wurden zudem weiterführend diskutiert bei Side Events im Pavillon der Regierung von Peru sowie im Pavillon der Inter-American Development Bank und der Amazon Cooperation Treaty Organization. Dort kamen zentrale Persönlichkeiten zusammen, darunter Fanny Kuiru, Generalsekretärin von COICA, Katrin Schneeberger, Staatssekretärin für Umwelt der Schweiz, und Raquel Soto, Vizeministerin für strategische Entwicklung natürlicher Ressourcen in Peru.
An den Veranstaltungen beteiligten sich Vertreter*innen indigener Völker, von Regierungen, aus der Privatwirtschaft und der Wissenschaft. Gemeinsam debattierten sie Strategien, um vom Wissen ins Handeln zu kommen. Peter Messerli fragte: „Wir wissen so viel, handeln aber so wenig. Wie können wir diese Lücke verkleinern, um echten Wandel zu schaffen?“
Laut Messerli zeigen die Wälder deutlich, wie eng die ökologischen Krisen miteinander verbunden sind – der Verlust der Biodiversität, der Klimawandel, aber auch die Degradation von Land und Kultur. Diese Aspekte müssten gemeinsam angegangen und auch die Ursachen der Probleme adressiert werden.
Sackgassen durch Silo-Denken
Die allgemeinen Ergebnisse der COP 16, die in der Öffentlichkeit breit diskutiert wurden, sind auf den ersten Blick ernüchternd. Die Verhandlungsstaaten befinden sich an einem kritischen Punkt: Das Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (KMGBF) muss konkretisiert werden. Es war an der vorherigen COP in Montreal verabschiedet worden und wurde von einigen als Durchbruch gewertet – mit der Vision einer nachhaltigen Nutzung der Natur bis 2050 und konkreten Zielen bis Ende 2030. In Cali jedoch beklagten viele Akteur*innen das Fehlen dieses visionären Geistes, da es nicht gelang, den finanziellen Rahmen für die internationale Förderung der Biodiversität festzulegen. Dringende Entscheidungen wurden vertagt. Messerli kritisiert, dass die Gemeinschaft stark fragmentiert sei, Silo-Denken nicht überwunden wurde und es nach wie vor an Partnerschaften zwischen Unternehmen, Regierungen, Zivilgesellschaft und Wissenschaft fehle.
Wie sich (manches) Denken verändert
Bei genauerem Hinsehen lassen sich dennoch Fortschritte erkennen: Die Wyss-Academy-Wissenschaftlerin und COP-Expertin Dr. Van Hai Nguyen, die virtuell an der COP 16 teilnahm, beobachtet eine Bewegung hin zu systemischen, integrierten Strategien und sieht Verbindungen zur Arbeit der Academy. Sie erkennt Ansätze, die den Verlust der Biodiversität über soziale und sektorale Grenzen hinweg anpacken.
So wurde an der COP 16 beispielsweise ein Arbeitsprogramm der Biodiversitätskonvention überarbeitet, um den indigenen Völkern und lokalen Gemeinschaften (IPLCs) höhere Priorität einzuräumen. „Unsere Beiträge haben dabei eine entscheidende Rolle gespielt“, sagt Dr. Nguyen. Sie ist Mitautorin eines Berichts mit dem ASEAN CSO Forum in Südostasien, dessen Ergebnisse auf mehreren COP-Veranstaltungen diskutiert wurden. Dadurch werden die Erfahrungen von IPLCs in den Kontext nationaler Aktionspläne und globaler Ziele gestellt, um Wege für transformativen Wandel zu identifizieren.
Ein weiterer Erfolg der COP 16 ist die Einrichtung eines permanenten Unterorgans für IPLCs, das deren Sichtweisen und Aktivitäten koordinieren soll. Für Margaret Owuor, Professorin für integrativen Biodiversitätsschutz an der Wyss Academy, war dies ein Höhepunkt. „Es ermöglicht den Menschen, mehr Verantwortung für den Schutz und die Governance ihrer natürlichen Ökosysteme zu übernehmen und auch direkt an Foren und Diskussionen teilzunehmen, ohne dass immer jemand für sie sprechen muss“, betont sie.
Doch werden diese Schritte auch soziale Gleichheit und Gerechtigkeit bei der Umsetzung der KMGBF-Ziele stärken? Van Hai Nguyen, Margaret Owuor und weitere Forschende untersuchen nun, welche Veränderungen sich in der lokalen und globalen Governance-Landschaft für Biodiversität beobachten lassen. Ziel ist es, einen globalen Datensatz zu den Massnahmen und Aktivitäten der Akteur*innen im Anschluss an das KMGBF zu erstellen, um sichtbar zu machen, wer wo zu welchen Zielen beiträgt. Die Ergebnisse der ersten vier Jahre seit Montreal sollen an der nächsten Biodiversitäts-COP im Jahr 2026 diskutiert werden.
Wenn Dynamik entsteht
Dabei hat die COP auch in Südamerika eine Dynamik ausgelöst. Für das dortige Hub der Wyss Academy mit Sitz in Peru war sie entscheidend für die Vertiefung strategischer Partnerschaften, betont dessen Direktor Miguel Saravia. Eine neue Initiative, das Amazon-Knowledges-Metarepository, wurde vorgestellt und vorangetrieben. Gemeinsam mit zahlreichen Partner*innen arbeitet die Academy an der Frage, wie Wissen über die Amazonasregion grenz- und kulturübergreifend zugänglich gemacht werden kann. Die Idee war während der regionalen Wyss-Academy-Dialoge im Mai entstanden, als Interessengruppen aus der Amazonasregion in Manaus, Brasilien, zusammenkamen. Laut Saravia ist die Initiative ein Schlüssel zur Stärkung regionaler Partnerschaften. „Unser Ziel ist es, sicherzustellen, dass Wissen nicht nur bewahrt, sondern aktiv geteilt und genutzt wird, um nachhaltige Praktiken zu unterstützen.“
Weil alles zusammenhängt
Schliesslich richtet Hub-Direktor Saravia den Blick auf die kommende Klimakonferenz (COP30), die im November 2025 in der brasilianischen Amazonasmetropole Belém stattfinden wird. Die Ergebnisse der Biodiversitätskonferenz in Kolumbien sollen ins Nachbarland Brasilien getragen und verknüpft werden mit der globalen Klimagemeinschaft. Aus Sicht der Wyss Academy ist dies in vielerlei Hinsicht ein logischer Schritt. Erstens eröffne er neue Möglichkeiten zur Vernetzung von Interessengruppen. Zweitens könnten die komplexen Probleme nicht in isolierten Konventionen angegangen werden. „Wir können nicht über Biodiversität sprechen, ohne die Rolle des Klimawandels für sie zu verstehen“, erklärt Saravia. Es brauche neue Ideen für Kooperationen, um die Aktionsrahmen beider Konventionen miteinander zu verbinden – eine Aufgabe, zu der die Wyss Academy ihren Beitrag leisten will.