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Wyss Academy

Erkenntnisse aus dem Dialog in Ostafrika

Annäherung an den wahren Wert der Wälder in Ostafrika: Maroantsetra, Madagaskar



Hazo tokana tsy mba ala heisst auf Malagasy «ein Baum macht noch keinen Wald». Der Satz fasst den wahren Wert von Wäldern perfekt zusammen: Erst durch Vielzahl entsteht Stärke. Mehr Bäume bedeuten reichere Ökosysteme, Lebensräume und Dienstleistungen. Wenn mehr Menschen die Wälder verstehen und wertschätzen, werden sie gezielter daran arbeiten, sie zu schützen oder nachhaltig zu nutzen. Dies waren die zentralen Erkenntnisse der Ostafrika-Ausgabe der Wyss Academy Dialoge über den wahren Wert der Wälder, die am 13.–14. Juni 2024 in Maroantsetra auf Madagaskar stattfand. Die Veranstaltung brachte 26 Teilnehmende aus Regierung und Zivilgesellschaft zusammen, um konkrete Schritte zur Aufforstung, zur Diversifizierung von Lebensgrundlagen und zur Sensibilisierung der Menschen für die Bedeutung der Wälder zu entwickeln.


Tatjana Von Steiger, Leiterin Globale Politikgestaltung bei der Wyss Academy, erklärte: «Wir wollen die Debatte kontextualisieren, indem wir sie im lokalen Kontext verankern. Auf diese Weise ermöglichen wir es verschiedenen Interessengruppen, ihre Perspektiven einzubringen – und das ist ganz entscheidend, wenn es darum geht, eine gemeinsame Vision zu entwickeln und neue Ideen zu erkunden.»

 

 

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft


Es heisst oft, dass Fortschritt Lernen aus der Vergangenheit erfordert, und das gilt ganz besonders bei der Entwicklung von wirksamen Strategien für Advocacy und Verhaltensänderungen. Starke kulturelle und spirituelle Überzeugungen haben einen direkten Einfluss auf das Verständnis von wissenschaftlichen und anderen Informationen über den Wert der Wälder und auf die Offenheit gegenüber solchen Informationen. Das bedeutet jedoch keinesfalls, dass frühere Generationen die Wälder nicht wertschätzten. Im Gegenteil: Bäume und Wälder wurden allgemein verehrt und nur selten gefällt, ohne dass dazu spezielle Rituale durchgeführt worden wären. In Maroantsetra zum Beispiel bereitete man für Zanahary (Malagasy für Gott) Opfergaben aus Honig und Alkohol zu, um die Erlaubnis zum Fällen eines Baumes zu erbitten; diese kam dann in der Form eines Traums. Das Ritual besteht immer noch, mit der modernen Bedingung, dass der Baum mit einer Axt und nicht mit einer Kettensäge gefällt werden muss. In anderen Gegenden Madagaskars glaubte man, dass die Geister verstorbener Angehöriger in Bäumen wohnten und dass jeder, der einen Baum fällte, Gefahr lief, besessen zu werden.


Mit der Zeit und durch den Einfluss des Christentums wurden diese Traditionen allmählich verdrängt, und der Wert der Wälder wurde weniger geschützt. Bäume wurden nun zur Gewinnung von Brennholz, Bauholz, Nahrungsmitteln und Medizin gefällt, und oft kümmerte man sich dabei nicht um die Erneuerung des Waldes. Die heutige Realität der Wälder besteht darin, Lebensgrundlagen bereitzustellen, was verschiedenste Herausforderungen mit sich bringt. Bodenerosion, verringerte landwirtschaftliche Produktivität, Verschmutzung und das Verschwinden kultureller Praktiken sind einige der augenfälligsten Folgen dieses Wandels.


Was bedeutet das nun für die Zukunft der Wälder in Madagaskar? Es ist entscheidend, ein Gleichgewicht zwischen Schutz und Nutzung zu finden. Das ist leichter gesagt als getan, aber es ist durchaus möglich. Zuallererst muss eine klare Governance-Politik zum Schutz der Umwelt und der Wälder entwickelt und rigoros durchgesetzt werden. Dies sollte schnell von intensiven Sensibilisierungsaktivitäten begleitet werden, um sicherzustellen, dass die Menschen vor Ort eine angemessene Bildung zum Thema Naturschutz und nachhaltige Bewirtschaftung der Wälder erhalten.

 



Wert als dynamisches Konzept

 

Der «wahre» Wert der Wälder setzt sich aus vielen unterschiedlichen Wahrnehmungen und Kenntnissen zusammen, die allesamt Erzeugnisse von miteinander verbundenen Systemen sind. Die Teilnehmenden machten deutlich, dass Advocacy und Kommunikation über den Wert der Wälder die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung widerspiegeln müssen. Sie betonten zudem, dass Wälder eine Lebensquelle für alle sind – und dass, wenn alle profitieren, auch jede und jeder für ihren Schutz verantwortlich ist.

 

Sarobidy Rakotonarivo, interdisziplinäre Sozialwissenschaftlerin an der Université d’Antananarivo, unterstrich die entscheidende Rolle von Governance-Rahmenbedingungen, die lokale Gemeinschaften stärken. «Wir müssen dringend Massnahmen zum Schutz der global wichtigen Biodiversität ergreifen, aber wir dürfen uns nicht dazu verleiten lassen, Abkürzungen zu nehmen», sagte sie. «Die Umsetzung eines sozial gerechten und rechtebasierten Ansatzes für den Naturschutz ist ein langsamer und schwieriger Prozess. Es sind die Menschen an den Rändern des Regenwaldes mit der Axt in der Hand, die den grössten Einfluss auf das Geschehen haben. Wir können endlos Dialoge wie diesen führen, aber solange diese Menschen, die tagtäglich Entscheidungen über ihre landwirtschaftliche Praxis treffen, nicht wirklich die Möglichkeit haben, selbstbestimmt zu handeln, und solange ihr Recht auf Land und angemessene Schutzmassnahmen nicht anerkannt ist, solange wird die Entwaldung weitergehen.»


Für die meisten Teilnehmenden beruht der Wert der Wälder vor allem auf ihrem wirtschaftlichen, ökologischen und soziokulturellen Nutzen. Sie waren sich allgemein einig, dass die Bewahrung der Wälder direkt zu Einkommen für die lokalen Gemeinschaften durch Aktivitäten wie Ökotourismus und Honigproduktion führen sollte. Neben dem Einkommen wurden zudem Gesundheit und nachhaltige Forschung als ergänzende Werte der Wälder genannt.


Im Hinblick auf die Interessensvertretung und das Bewusstsein für den Wert der Wälder, waren sich die Teilnehmenden einig, dass die Stärkung der Beziehungen zwischen der lokalen Bevölkerung und den Geldgebern Vorrang haben sollte. Der Aufbau von Vertrauen zwischen den beiden Gruppen soll dazu beitragen, Lösungen effektiver zu entwickeln und umzusetzen. Zudem soll dies langfristig einen reibungsloseren Übergang zu wirtschaftlicher Unabhängigkeit ermöglichen, wenn die Unterstützung der Geldgeber ausläuft. Hinsichtlich der Schwerpunkte von Kampagnen zur Aufklärung und Sensibilisierung der Öffentlichkeit nannten die Teilnehmende mehrere zentrale Themen, darunter (1) den Schutz der Biodiversität und deren Wert; (2) die rasch schrumpfende Waldfläche; und (3) Richtlinien für Touristen, die die Wälder besuchen.

  

Integration von Forstwirtschaft und Naturschutz

Trotz der Forderung nach einer klaren Politik zum Schutz der Wälder diskutierten die Teilnehmenden auch bestehende nationale und private Initiativen, die sich für angemessene Rahmenbedingungen für die Waldwirtschaft einsetzen. Dazu gehören unter anderem:

 

1.      SNABE (nationale Strategie zur Holzenergieversorgung), eine von der Regierung Madagaskars vorgeschlagene Strategie zur Stärkung der Versorgung mit Holzenergie, zur Reduktion des Verbrauchs von Holzenergie und zur Schaffung wesentlicher Rahmenbedingungen, etwa mittels Sicherung von Landnutzungsrechten, Regulierung und Kontrolle der Waldnutzung und Förderung der Umstellung auf Ersatzenergien.

 

2.      Alliance Voahary Gasy (AVG), eine Plattform, mit der sich um die dreissig Mitgliedsorganisationen zusammen für eine bessere Verwaltung der natürlichen Ressource einsetzen. Ziel ist es, die Regierung dazu zu bringen, Richtlinien und Gesetze zu implementieren, die ein nachhaltigeres und umweltfreundlicheres Wirtschaftsmodell fördern, und dabei insbesondere sicherzustellen, dass verletzliche lokale Gemeinschaften nicht an vorderster Front von Umweltschäden betroffen sind. AVG bietet Advocacy, Schulungen und eine App, die geltende Umweltgesetze bündelt und einfach zugänglich macht.

 

3.      Fair Trade-Zertifizierungen. Diese werden in der Regel von Akteuren des privaten Sektors koordiniert, die Finanzierungs- und Naturschutzpartnerschaften unterstützen. 

 

Formulierung einer gemeinsamen Erklärung 

Zum Schluss der Veranstaltung formulierten die Teilnehmenden eine gemeinsame Erklärung. Sie ist im folgenden Bild dargestellt:

 

Mit dieser Ausgabe sind die regionalen Dialoge nun abgeschlossen. Die Erkenntnisse aus allen vier Veranstaltungen werden die Grundlage bilden für eine grössere vernetzte Erfahrung im Rahmen eines virtuellen globalen Dialogs am 1.–2. Oktober sowie später an der 16. Konferenz der Vertragsparteien der Biodiversitätskonvention. Wir freuen uns darauf, dass die gesammelte kollektive Weisheit bald in greifbare, reale Wirkung umgewandelt wird!




Photo credit: Daria Vuistiner

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